Ein neues Geschäftsmodell?

Paket für unbekannt

Manchmal sind es die schrägen Dinge im Leben, die einem auf Trab halten. Wie zum Beispiel die Frage: gibt es Briefkasten-Hijacker? Personen, die sich kurzfristig Briefkästen aneignen, um sich unrechtmässig zu bereichern?

An einigen Tagen der Woche arbeite ich in Zürich, in einem hübschen Haus an guter Lage. Zum Haus gehören fünf Briefkästen, wobei neben dem Firmenbriefkasten drei Kästen von den Mietern genutzt werden. Der 5. Kasten ist als Reserve gedacht und besitzt keinen Schliesszylinder. Kürzlich nun lag ein Paket in eben diesem Briefkasten, ein weiteres war auf der Treppe deponiert. Und überraschenderweise war der Briefkasten fein säuberlich beschriftet. Mit einem gravierten Aluschild (so machte es den Anschein) gab sich ein Herr Imhof als neuer Mieter unseres Hauses aus.

Von den Mitarbeitern wusste niemand etwas über diesen ominösen Herrn. Und auch die Liegenschaftsverwaltungs-Firma tappte im Dunkeln. Die Mieter schienen keine Untermieter aufgenommen zu haben – es war also ein Rätsel, das es zu lösen galt.

Da wir Pakete unserer Mieter jeweils in das Haus hineinnehmen (der Regen, der Nebel, mögliche Diebe), haben wir dies auch bei den an Herrn Imhof gelieferten Pakete gemacht und ihm statt dessen einen Zettel in den Briefkasten gelegt, dass er doch die Pakete bei uns abholen möge. Zwei Tage später kam wieder ein Paket – und unser Zettel war entfernt worden. Wir wussten immer noch nicht, wie dieser Herr Imhof aussah und ob er je die Pakete bei uns abholen würde.

Nachfrage beim Stadthaus

Für eine Sendung Kokain war das Paket dann doch zu schwer (so unsere Vermutung) und es schien sich um mindestens zwei Büchersendungen zu handeln. Sollte es sich um einen Briefkasten-Hacker handeln, würden die Lieferanten um ihre Zahlung geprellt, denn das Geldeintreiben bei einer nicht real existierenden Adresse wird wohl mehr als schwierig sein. Um Sicherheit darüber zu erhalten, ob es sich bei Herrn Imhof um ein Inkognito handelte, rief ich dem Stadthaus an. Wie zu erwarten war, durften die Beamten dort natürlich keinerlei Auskünfte über die Existenz von Mitmenschen geben. Ich hätte nach E.T. fragen können und mir wäre nicht bestätigt worden, ob E.T. nun in Zürich lebt oder ob er ‘nach Hause’ gegangen ist.

Nachfrage beim Kreisbüro

R. Imhof wohnt hier nicht

R. Imhof wohnt hier nicht

Das Kreisbüro wollte mir eine Adressauskunft für Fr. 10.- verkaufen. Ich argumentierte, dass ich keine Fr. 10.- locker mache für eine amtliche Bescheinigung über etwas, das schon zu 99% klar sei. Das hat die freundliche, aber geschäftstüchtige Dame am Telefon dann auch eingesehen und sich dann nochmals mit ihren Vorgesetzten in Verbindung gesetzt. Angesichts der recht schrägen Geschichte, die ich ihr – wahrheitsgemäss natürlich – erzählt hatte, war sie dann doch dazu bereit, mir zu meinem fehlenden 1% der Annahme zu verhelfen.

Abklärung bei der Post

Wo das Paket herkommt, da muss es auch wieder hin. Nun mussten sich aber in den Paketen wohl schwere Kunstdruckbücher oder dergleichen befunden haben, denn die Summe der Pakete lag doch etwas über dem normalen Schleppgewicht einer Büroarbeitenden. Die Logik drängte auf, dass die Post die ungewollte Ladung wieder mitnehmen würde. Nach 10 Minuten in der Telefon-Warteschlange bekam ich eine Ansprechperson. Ihr schilderte ich mein Anliegen. Sie hatte noch nicht alle Details gehört, als sie mich unterbrach und mir die sinnige Auskunft gab, dass die Post nicht vorbeikommen würde, um das Namensschild aus dem Briefkasten zu entfernen. Fast war ich sprachlos. Ja! DAS war mir ja auch klar.

Nochmals drei Schritte retour im Text und weiter erklärt. Jetzt kam Verständnis auf für unsere Situation. Des Rätsels Lösung wäre wohl ein Rücksendeauftrag. Eifrig wurde erfasst, bis dann das Computerprogramm offenbar diese Aktion unterbrach, weil er sich mit solch exklusiven Anliegen überfordert zeigte. Rückfrage an einen Vorgesetzten. “Der Auftrag der Post ist das Zustellen der Objekte von A nach B“. Wenn das Objekt von B wieder nach A muss, dann bleibt da individueller Handlungsspielraum. Der aber nicht von der Post übernommen wird. Der Rat daher: machen Sie eine Anzeige bei der Polizei!

Rückfrage bei der Liegenschaftenverwaltung

Wie vermutet, wussten auch die Verwalter nichts über einen neuen Mieter oder Untermieter. Blieb also nur die letzte Instanz.

Die Polizei

Sehr freundlich und sehr hilfsbereit. Das muss man ihnen lassen. Eine solche Geschichte war der diensthabenden Polizistin noch nie zu Ohren gekommen und sie versprach, sich umzuhören und sich wieder zu melden.

Ihre interne Rückfrage bei den Kollegen ergab, dass hier tatsächlich ein neuer Trend am Entstehen ist. Was in Deutschland schon an der Tagesordnung ist, scheint nun auch in der Schweiz Fuss zu fassen; Ware wird übers Internet bestellt, nicht bezahlt und an nichts ahnende Dritte verkauft. Ein einträgliches Geschäftsmodell, vor allem, wenn es sich um kostspielige Lieferungen handelt.

Die Polizistin nahm uns die drei schweren Pakete letztendlich ab. Da eines der Pakete ohnehin geöffnet werden musste (die Absenderadresse war nicht ersichtlich), habe ich auch die Bestätigung erhalten, dass es sich um insgesamt drei Büchersendungen von unterschiedlichen Lieferanten gehandelt hat. Wer also beispielsweise eines von drei Büchern mit dem Titel “KCBR – Live Life Like” bestellt haben sollte (ein radikales Zeitdokument über eine der aktivsten Zürcher Grafitti-Crews – ein Buch über die blinden Flecken der Stadtgeschichte), sollte sich nicht wundern, wenn der Lieferant in Folge Aufdeckung seines Inkognito-Briefkastens in einen Lieferengpass geraten ist.

Briefkasten-Hijacking – ein kreatives Geschäftsmodell, bei welchem es nur einen Gewinner gibt: denjenigen, der sich unrechtmässig bereichert.

Meine Empfehlung: leer stehende Briefkasten ‘bevölkern’ (beschriften und allenfalls einen Fake-Brief darin deponieren).


Die Schweizer Boulevard-Zeitung Blick online nahm diesen Artikel auf und schrieb am 11.7.2014 darüber:

Neuer Verbrecher-Trick: Dreiste Diebe missbrauchen fremde Briefkästen